- September 1888: Lecoin wird in Saint-Amand-Montrond geboren.
- Er sieht sich gerne Militärparaden an und zieht als 16-Jähriger eine Militärlaufbahn in Erwägung.
- Lecoin arbeitet zum Niedriglohn als Gärtner, dabei wird sein politisches Bewusstsein geweckt/und entwickelt dabei ein politisches Bewusstsein.
- Er wird zum Anarchisten und schreibt später in seiner Zeitung Liberté („Freiheit“) (Juni 1962): „Ich bin seit 1905 Anarchist, und wenn mich bald der Tod ereilt, können Sie sich sicher sein, dass ich auch als Anarchist sterben werde.“
- 1906: Lecoin nimmt an einem Gärtnerstreik teil.
- Er hört mehrere Reden von Jean Jaurès (einem berühmten Sozialisten) und Sébastien Faure (einem berühmten Anarchisten).
- Bei einem weiteren Gärtnerstreik wird Lecoin festgenommen und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Mit zweimonatiger Verspätung taucht er in der Kaserne auf, da er fürchtet, ins Exil geschickt zu werden und damit seine anarchistischen Aktivitäten einstellen zu müssen, wenn er seinen Militärdienst nicht antritt.
- Vor Ablauf seiner Militärzeit bricht ein Eisenbahnerstreik aus und seine Kompanie soll den Streik niederschlagen. Lecoin verweigert den Befehl und wird zu sechs Monaten Haft im Gefängnis von Bourges verurteilt.
- Für diese Gewissensentscheidung erhält er Unterstützung von der linken Zeitung Le Libertaire („Der Anarchist“).
- März 1912: Lecoin beginnt, als Bauarbeiter zu arbeiten.
- Er tritt der Fédération Communiste Anarchiste (FCA) („Föderation der Kommunistischen Anarchisten“) bei.
- Oktober 1912: Lecoin wird zum Sekretär der FCA gewählt und beteiligt sich an antimilitaristischen Aktionen.
- Oktober 1912: Lecoin wird für das Drucken eines Plakats verhaftet, mit dem zur Desertation und Wehrdienstverweigerung aufrufen wird.
- Dezember 1912: Er wird zu fünf Jahren Haft verurteilt.
- Während seiner Haft erfährt Lecoin von der Auflösung der FCA: Seine Vorbilder in der anarchistischen Bewegung sind darüber zerstritten, welche Haltung man künftig einnehmen soll. Die anarchistische Bewegung beginnt auseinanderzubrechen.
- Nach Aufforderung der Regierung stellt Sébastien Faure den Druck pazifistischer Schriften ein.
- November 1916: Lecoin wird aus dem Gefängnis entlassen und weigert sich, dem Mobilmachungsbefehl Folge zu leisten.
- Dezember 1916: Lecoin druckt einen Aufruf mit dem Titel „Frieden – sofort!“, wird unverzüglich verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
- September 1917: Lecoin wird entlassen und er weigert sich erneut, sich bei seiner Armee-Einheit zu melden.
- Dezember 1917: Er wird wegen Wehrdienstverweigerung im Pariser Militärgefängnis Cherche-Midi inhaftiert. Er wird nach Poissy verlegt, dann nach Fort de Bicêtre, wo er in den Hungerstreik tritt.
- Sommer 1918: Lecoin wird ins Militärarbeitslager Monge geschickt.
- März 1919: Lecoin wird in die Strafanstalt Albertville verlegt.
- 1919: Die Zeitung Le Libertaire wird von anarchistischen Freunden wieder neu aufgelegt. Für diese schreibt Lecoin hinter Gittern Artikel unter Pseudonym.
- Die Zeitung fährt eine Kampagne für Lecoins Freilassung aus Albertville. Im Oktober 1920 schreibt Lecoin einen Brief, der von der Verteidigung im Desertationsprozess gegen Alphonse Barbé eingesetzt wird. Für seine Verteidigung stützt sich Barbé auf den Begriff „Gewissenskonflikt“ („cas de conscience“).
- November 1920: Nach acht Jahren Haft kommt Lecoin frei.
- Für den Rest seines Lebens tritt Lecoin weiter als anarchistischer Aktivist und Figur des öffentlichen Lebens in Erscheinung.
- Dezember 1963: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird in Frankreich gesetzlich verankert.
- Juni 1971: Lecoin stirbt
Quelle: Louis Lecoin et le mouvement anarchiste [„Louis Lecoin und die anarchistische Bewegung“] von Sylvain Garel (1982).
Ein Brief, den Lecoin im September 1917 an den Militärgouverneur schrieb, um zu erklären, warum er seinen Wehrdienst verweigert:
„Sehr geehrter Herr Militärgouverneur,
Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Mensch sich weigern kann und sollte, seine Mitmenschen zu töten. Dieser Krieg, geschürt durch den weltweiten Kapitalismus, ist das schlimmste Verbrechen, von dem die Arbeiterklasse heimgesucht wird. Ich protestiere gegen den Krieg, indem ich mich weigere, dem Aufruf zum Kampf zu folgen.
Mit meiner Weigerung, den Befehlen der Soldateska zu gehorchen und militarisiert zu werden, handele ich nach meinen anarchistischen Idealen. Ich bin logisch in meinen Überzeugungen und folge sowohl meinem Herzen, das von der Abscheulichkeit dieser Ereignisse gequält wird, als auch meinem Gewissen, das über das große Leid der Menschen empört ist.
Louis Lecoin“
Seine Aussage vor dem Kriegsgericht 1917:
„Meine Anwesenheit auf dieser Anklagebank und der Grund, aus dem ich hier bin, kann als Beweis für meinen Hass gegen den Krieg und meinen Vorwurf gegen die Machthaber Frankreichs betrachtet werden. Sie sind, gemeinsam mit den anderen Führern der kriegführenden Länder, für dieses menschliche Massaker verantwortlich und daran schuld, dass es weiter andauert.
In Unterstützung des Klassenkampfes, des Kampfes, der die Arbeiterklasse von ihrer kapitalistischen Unterdrückung befreien wird, habe ich mich revolutionären Methoden und direktem Handeln verschrieben.“
Auszüge aus seiner selbstverlegten Autobiografie De Prison en prison („Von Gefängnis zu Gefängnis“) (1947)
Seine Verhaftung
Ein Unteroffizier kam aus einem angrenzenden Büro. Er befragte mich:
„Was tun Sie hier?“
„Ich weigere mich, in den Krieg zu ziehen.“
„Unruhestifter! Kanaille! Feigling!“
„Kein größerer als Sie es sind. Vielleicht ein kleinerer.“
„Entkleidet ihn und steckt ihn in Einzelhaft!“
Dort ließen sie mich mehrere Tage. Ich schritt in meiner winzigen Zelle auf und ab und setzte mich auf den Boden, wenn ich vom Gehen müde wurde.
(…) An eben jenem Abend wurde ich in das Büro des Unteroffiziers geführt.
Er gab zu, dass mir aufgrund meiner Ansichten jegliche Kommunikation mit meinen Mitinsassen verwehrt bleiben sollte. (…) Er hatte diese Befehle gegeben, damit mir die denkbar unmenschlichste Behandlung zuteilwurde.
Ich zog vor das Militärgericht und forderte mein Recht, kein Soldat zu sein; das Recht, Nein zu Krieg zu sagen, sogar in Kriegszeiten, gerade in Kriegszeiten.
Nach dem Kriegsgericht wurde Lecoin in ein gewöhnliches Gefängnis überführt (statt in ein Militärgefängnis).
Ein Barbier schneidet unsere Schnurrbärte ab und rasiert unsere Schädel. Und wir müssen uns ausziehen. Wachen untersuchen uns gründlich. Oh, es ist nicht unsere körperliche Gesundheit, für die sie sich interessieren. Wir öffnen unsere Münder, heben unsere Arme, um zu zeigen, dass wir nichts in den Achselhöhlen verstecken. Sie untersuchen alle Körperöffnungen. Wir werden sogar aufgefordert, uns umzudrehen, vorzubeugen und … kräftig zu husten.
Arme Menschenwürde! Nichts ist von dir geblieben außer der Erinnerung.
Nun heißt es Abschied nehmen von allem, was uns noch mit dem Zivilleben verbindet: unsere Kleidung, Briefe, eine Fotografie. Ein Bündel mit jenen Gegenständen wird man uns in einem Jahr zurückgeben, oder in zehn. (…) Ich gehe ins Verwaltungsbüro durch, wo ich erfahre, dass nun eine gewisse Summe für die ‚schwarze Messe‘ von meinem Vermögen abgezogen wird. Das heißt, wir müssen für unseren Sarg im Voraus bezahlen.
„Lecoin! Ah! Lecoin! Reißen Sie sich besser zusammen. Das ist alles, was ich Ihnen raten kann, wenn Sie hier nicht mit den Füßen zuerst rausgetragen werden wollen!“
Ich werde der Bürstenfabrik zugeteilt und beginne mit meiner Ausbildung. Zu reden ist uns strikt untersagt. (…) Die Wachen packen uns unsanft an. (…) Es hagelt Schläge ohne Sinn und Verstand, allein zu deren Amüsement. Wenn ein Häftling von einem Schlag zusammenbricht, richtet ihn ein weiterer Schlag wieder auf. Oft spüre ich, wie mir bei diesem Anblick dicke Tränen die Wangen hinunterlaufen.
Lecoins Freunde legen für ihn Berufung ein und er wird in das Fort de Bicêtre im Militärgefängnis Cherche-Midi verlegt.
Dennoch hatte ich nicht vor, mein gesamtes Leben dort zu verbringen. (…) Ich beschloss, in den Hungerstreik zu treten. (…) Am sechsten Tag bekam ich Besuche vom Unteroffizier, der angesichts meiner Hartnäckigkeit verärgert zu sein schien.
Sommer 1918
Die ‚Spanische Grippe‘ – die mysteriöse Krankheit, die im Laufe des Sommers 1918 das Massengrab des Krieges weiter vertiefte – suchte unser Lager heim. (…) Der Tod übermannte die Schwächsten.
Als ich eines Morgens erwachte, lagen meine beiden Bettnachbarn tot an meiner Seite. Am Tag zuvor, da wir uns das Stroh teilten, hatten wir uns ein wenig unterhalten – um uns selbst und einander Mut zuzusprechen.
Der frühe Wintereinbruch machte alte Menschen aus uns. Und eines Tages, als uns sogar die Kraft fehlte, uns die Kälte aus den Knochen zu treiben, erreichte die Nachricht des Waffenstillstands den Steinbruch. Ich machte mir keine Gedanken darüber, ob das Leiden für mich nun ein Ende hätte. Ich dachte darüber nach, dass das Leid der Welt nun enden würde, und ich war unendlich glücklich für all jene, denen wir nun nicht mehr das Leben nehmen würden.