Roy Sellstrom

Auszüge aus einem Interview mit Roy Sellstrom, ehemals Hauptgefreiter des Royal Pioneer Corps, der im Golfkrieg (1990-91) mit dem Beseitigen von Leichen beauftragt war.

Foto mit freundlicher Genehmigung von Roy Sellstrom

Über seinen Beitritt zur Armee

Wenn man mich als jungen 17-Jährigen gebeten hat, etwas zu buchstabieren, habe ich mich geweigert. Ich konnte noch nicht mal Schimpfwörter buchstabieren. (…) Ich konnte es nicht, ich war Legastheniker.

Die vom Rekrutierungszentrum der Armee bezeichneten mich als Schwachkopf, [aber] ich hatte ein paar gute Referenzen, dank derer ich in die normale Armee aufgenommen wurde. Wahrscheinlich 90 % der jungen Typen, die ich bei der Ausbildung kennenlernte, waren so wie ich. Wir stammten aus heruntergekommenen Sozialsiedlungen, hatten häusliche Gewalt erfahren, wissen Sie, oder wir kamen einfach aus ärmlichen Verhältnissen und gingen zur Armee.

Ich wusste schon so mit sieben oder acht, dass ich zur Armee wollte. Mein Opa hat den ganzen Zweiten Weltkrieg hindurch gekämpft. Einige aus meiner Familie sind im Ersten Weltkrieg gefallen. Die Armee lag mir im Blut, das war ganz klar.

Als Jugendlicher war ich in Gangs [und] lernte schon früh, meine Fäuste einzusetzen. Ich glaube, mit einem Messer attackiert wurde ich zum ersten Mal mit 16. (…) Das hat mich auf ein Leben beim Militär vorbereitet.

Über Gewalt

Das erste Mal richtig jemanden verletzt habe ich, als ich mit zwei Freunden am Hintereingang vom Belle-Vue-Zoo mit einem Haufen Teddy Boys aneinander gerasselt bin.

Ich hatte eine Metallstange dabei. (…) Die Gang kreiste mich ein. Sie sagten: „Rück das Ding raus.“ Ich erwiderte: „Hier, das könnt ihr haben, verdammt.“ Sein Gesicht platzte vor mir auf. Ich hatte ihn richtig erwischt, das Blut spritzte nur so. Ich bin um mein Leben gerannt, der brüllende Scheißmob klebte mir an den Fersen.

Über Missbrauch

Ich akzeptiere heute, dass ich ein Trauma erlitten habe. Ich meine, ich bin als Kind sexuell missbraucht worden.

Ich habe bei einem Freund übernachtet und der alte Dreckskerl hat sich uns geschnappt und hat mich zwei Tage lang immer wieder sexuell missbraucht. Er hat einen in die Enge getrieben, er war ein Sexualstraftäter … Ich war nicht der Einzige, an dem er sich vergriffen hat, um ehrlich zu sein.

Früher habe ich schwule Kerle verprügelt, ohne mit der Scheißwimper zu zucken. Die Wichser mussten immer richtig was von mir einstecken. Ich hab echt gedacht, dass Pädophilie und Homosexualität Hand in Hand gehen, und das stimmt nicht.

’93, ’94 war ich auf Zypern stationiert. Dort haben wir das gesamte britische Fernsehprogramm empfangen. Als wir eine Sendung über Kindsmissbrauch geguckt haben, ich glaube, die lief auf Central, habe ich mich zu meiner Frau umgedreht und gesagt: „Deb, dir ist schon klar, dass ich als Kind missbraucht worden bin.“ Ich habe das nie meinen Brüdern oder meiner Mum erzählt, weil darüber in den 70ern niemand geredet hat, wie Sie ja schon sagten. (…) Aber ich bin wahrscheinlich durch den Einsatz meiner Fäuste darüber hinweggekommen.

Ich bitte nicht um Vergebung und ich werde mich auch sicher auch nicht dafür entschuldigen. Und das habe ich in die Streitkräfte mit hineingetragen.

Über die Ausbildung

Wenn du deinen Kumpel nicht geschlagen hast, konntest du dir sicher sein, dass dein Kumpel dich schlagen würde. In gewisser Weise herrschte die Devise „jeder gegen jeden“. Die Infanterieausbildung ging 22 Wochen. (…) [Später] habe ich [dann selbst] Auszubildende in die Finger gekriegt.

Kurz vor Ende der Ausbildung drehte sich der Unteroffizier zu mir um und sagte: „Geben Sie mir Ihren Helm. Ich muss mal scheißen.“ Und ich darauf: „Wie bitte?“ Er hockte sich hin, schiss hinein und sagte dann: „Setzen Sie ihn wieder auf.“ (…) Da bin ich weggerannt (…) Der Oberfeldwebel [sagte]: „Ach, kommen Sie, hören Sie auf zu flennen. Gehen wir zurück.“ Das war also die Mentalität, die bei der Ausbildung herrschte, (…) ziemlich brutal.

Ich habe miterlebt, wie manche gegeneinander Gewalt ausgeübt haben. Die sind wie tollwütige Hunde aufeinander losgegangen, weil man ihnen das so beigebracht hat. Und wie gesagt, wer nicht selbst zugeschlagen hat, musste damit rechnen, Prügel einzustecken.

Über den Besuch in der Pathologie von Northampton (Militärdienst)

Sie haben mich, Phil Gill und Chuggy in die Pathologie von Northampton geschickt. Zuerst waren wir in der Asservatenkammer der Polizei und haben uns die ganzen Scheißschachteln mit Beweisen für Morde, die in Northamptonshire verübt worden sind, angesehen.

Wir öffneten also so eine Schachtel und darin lagen ein Scheißhammer und ein Haufen Fotos vom zertrümmerten Schädel irgendeiner Frau. Dann öffneten wir die nächste Schachtel und darin lag ein Seil, mit dem sich irgendeine Frau erhängt hatte. Da sagt man sich: „Verdammte Scheiße, was ist wohl in der nächsten?“ Alle waren am Kichern, und dann sagte er: „Gut, Sie können jetzt in die Pathologie rübergehen.“ (…) Man musste nur die Straße überqueren und war dort – ich glaube, das war im Northampton General Hospital.

Wir haben gesagt: „Wir sind die Unteroffiziere von der Armee. Man hat uns hierhergeschickt.“ Ich weiß noch, wie verblüfft wir waren, weil der Typ beim Abendessen saß, als wir reinkamen. Und ich dachte nur: „Leck mich am Arsch, wie kann man zu Abend essen, wenn man mit Leichen arbeitet?“

Ich bin durchgegangen und das Erste, was mir entgegenschlug, war der Geruch. (…) Da will man einfach nur kotzen. Ich habe mich umgesehen, und da lagen ungefähr acht verdammte Leichen auf Bahren, und mir schoss durch den Kopf: „Scheiße, worauf hab ich mich hier bloß eingelassen?“

Der Scheißgeruch … Wenn ich ihn beschreiben müsste, würde ich sagen, das ist eine Mischung aus Fleisch und Körperflüssigkeiten. Wissen Sie, Blut riecht ziemlich stark nach Eisen und nach Fleisch, totem, verwestem Fleisch. (…) Wir sind da reingegangen und der Leichenbestatter hat an so einer Scheißleiche rumgeschnippelt. Und er hat gesagt: „Treten Sie nur näher. Haben Sie keine Angst, verdammt.“ Er hatte einen Bohrer mit einem Sägeblatt an der Spitze, damit hat er buchstäblich den Kopf von so ‘nem Typen aufgesägt. Da ist man fasziniert, aber gleichzeitig auch entsetzt.

Ich wollte nur eins: weglaufen.

Über den Einsatz in Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien sind wir zum Hafen von Al-Dschubail gefahren. Wir waren [im] Lager vier stationiert, wo es zwei große Kühlhäuser gab. Eines der beiden nutzten wir für die vielen Leichen. Wir hatten es mit 200 Leichen am Tag zu tun. Wir waren dort gerade mal 30 Mann oder so.

Meine erste Leiche war ein junger Offizier. (…) Es hatte einen Verkehrsunfall gegeben [und] sein Panzer hatte ihn überrollt.
Unsere Aufgabe war es, an die Orte zu fahren und die Leichen zu bergen. Wir durchstreiften also das Gebiet oder gruben sie aus, klopften die Erde von ihnen ab, wuchteten den Müllsack auf die Bahre, fuhren zurück, brachten sie zur Sammelstelle, öffneten den Müllsack und übergaben uns, weil da einfach nur Fleisch drin lag, und zwar schon seit ungefähr einer Woche.

Dieses Scheißtrauma kommt jetzt hoch.

Wir hatten absolut nichts. Wir hatten noch nicht mal Leichensäcke. Zu dem Zeitpunkt war mir jegliche Moral abhandengekommen, ich hatte nichts mehr, was ich jemandem hätte bieten können. Ich funktionierte einfach nur noch, um ehrlich zu sein. Mein Tank war leer, psychisch und physisch.

Über posttraumatische Belastungsstörung

Am Ende von meinem Einsatz in Kuwait wusste ich, dass ich Probleme hatte. Ich habe meinem Arzt  [davon] erzählt und ihm gesagt: „Ich habe komische Gefühle, die ich nicht begreifen kann.“ Ich habe ständig geheult, aber wenn man weint, dann hat man einen Grund. Heute würde ich eine PTBS erkennen. Wir hatten alle PTBS-Symptome, aber keiner hat uns gesagt, dass wir an PTBS litten.

Ungefähr vier Monate nachdem ich nach Nord-Irland zurückgekehrt war, hatte ich einen Zusammenbruch, aber den habe ich einfach im Alkohol ertränkt.

Ich wurde in die Militärpsychiatrie eingewiesen. (…) Man musste lügen, um da irgendwie wieder rauszukommen. (…) Dann habe ich meine Militärlaufbahn einfach fortgesetzt.

Alle 32 von uns litten an PTBS, vom Offizier bis zum niedrigsten Dienstgrad. Ich habe Typen gesehen, die unter kochend heißen Duschen standen, die dir eigentlich die Scheißhaut verbrennen. Die standen da und weinten wegen dem, was wir da taten.

Wenn ich ein Problem habe, löse ich es. Das hat mich fertiggemacht. Was soll’s, verdammt? Ich musste mein Leben wieder auf die Reihe kriegen. Ich werde nicht in mein Bier weinen. Ich wusste, was ich da tue.

 


Interview von Matt Adams vom 18. April 2018, Imperial War Museum, London, England. Transkript von Abby Middleton.