Steve Cottam

Interview von Matt Adams vom 18. April 2018, Imperial War Museum, London, England.

 

Steve Cottam, photo while serving in Afghanistan

Photo courtesy of Steve Cottam

Über die negativen Auswirkungen des Krieges

Im Moment leben wir in einer schönen, modernen Welt, wo alles gut und geregelt läuft, wenn man so will. Man trinkt morgens eine Tasse Tee trinkt, isst eine Scheibe Toast und geht dann zur Arbeit geht. So läuft es im Krieg nicht – dort besteht die Arbeit darin, den Feind zu vernichten. Der Krieg kann die Menschen beinahe ins Mittelalter zurückversetzen, wo ein Leben wertlos ist. Und ich denke, wenn Menschen das eine Weile lang mitgemacht haben, denken sie nicht mehr normal und sind nicht mehr die, die sie einmal waren. Sie können nicht einfach zurück nach Hause gehen und morgens eine Tasse Tee trinken. Dazu braucht es etwas mehr – mehr Kontrolle, denke ich. Den Krieg infrage zu stellen, während man da draußen ist, wäre nicht dumm, würde ich sagen, aber auf jeden Fall mutig.

Genau darin liegt das Problem: Krieg macht ein bisschen süchtig, fast wie eine Droge, denke ich.
Meine Frau sagte immer zu mir: „Ich will nicht, dass du zurückgehst. Ich finde, dazu bist du psychisch nicht stabil genug.“ Darauf antwortete ich: „Ich bin psychisch nicht stabil genug, um hierzubleiben. Ich muss zurück.“

Über Undercover-Einsätze

Als ich Geheimdienstbeauftragter war, bestand meine Arbeit hauptsächlich darin, undercover nach Afghanistan zu reisen, um dort Informationen zu sammeln.

[Wir bekamen] lange Perücken, dicke Bärte, Make-up und Kontaktlinsen, und natürlich die traditionelle Kleidung und traditionelle Autos usw. – so sah unsere Arbeit aus. Es war wirklich großartig –  das, was wir als „sexy Job“ bezeichnen würden. Einen Aston Martin gab es nicht, aber es war ein guter Job. Man konnte allerdings ernsthaft in Schwierigkeiten geraten. Und wenn das passierte, war man extrem gefährdet, da es nicht viele von uns gab. Wir arbeiteten nur in ganz kleinen Teams.

Über den Soldatenalltag

Als Soldat fehlt einem der Blick fürs große Ganze. Ehrlich gesagt hat man keine Ahnung, was Sache ist. Wir bekommen nur beigebracht, das zu tun, was man uns befiehlt.

Ich habe mich öfter freiwillig gemeldet und gesagt: „Ich ziehe mit den Jungs los, um die ‚Atmospherics‘ zu erkunden“, das heißt, ein örtliches Stimmungsbild zu erstellen und herauszufinden, was vor Ort wirklich los ist. „Atmospherics” war das Codewort, über das ich vor Ort zum Einsatz kam und auch ein bisschen mitkämpfen konnte.

Über das Leben an der Front

Man muss angesichts des Chaos‘ Ruhe bewahren, aber wir waren ein leichtes Ziel. [Die Taliban] hatten die totale Kontrolle. (…) Entschuldigung, aus irgendeinem Grund zittere ich …

Damals kam es wahrscheinlich zum allerersten Mal vor, dass ich mich von einem Ort weggewünscht habe und das Gefühl hatte, mir vor Schiss in die Hose zu machen. Die Jungs, mit denen ich dort war, waren echt noch sehr junge, schmächtige Kerle, an denen nicht viel dran war. Und man musste zusehen, wie sie dahingerafft wurden. Ich bekam mit, wie sich ein junger Kerl von gerade mal 19 Jahren für eine kurze Atempause an eine Grundstücksmauer lehnte, an der eine USBV [unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung] angebracht war. Es ist schon extremes Pech, wenn einem so etwas passiert, aber er war einfach völlig erschöpft. Er hatte den ganzen Tag in der glühenden Hitze um die 40°C gekämpft und wollte nur kurz verschnaufen. Und dieser kurze Verschnaufer hat ihn das Leben gekostet. Das hat mich am meisten umgehauen, ich fand es total furchtbar. Ich dachte: „Wenn es eine Hölle gibt, würde ich da gern mal zur Entspannung hin, denn das hier ist wirklich übel.“

(…) Man fängt an, sich in die Lage des Feindes zu versetzen. Denn es ist furchtbar. Wenn man morgens losgeht und alle Mann da sind, und es dann am Abend vier Tote und 16 Vermisste gibt, fragt man sich, was das alles soll. Man muss alles infrage stellen, auch sein eigenes Handeln.

Über Verfolgungswahn

Als ich von meinem zweiten Einsatz zurückkam, litt ich zu Hause anfangs so schlimm unter Verfolgungswahn, dass ich dort Personenschleusen und Sicherheitskameras installiert habe, damit ich weiß, wer vor der Tür steht. Meine Frau fragte mich, was das soll. Ich wollte damit einfach einen Moment Reaktionszeit gewinnen. Wir sind immer darauf aus, unser Reaktionsvermögen zu steigern und Bedrohungen zu beseitigen, aber es macht einen krank. Ich habe 16 Jahre lang gedient und hätte eigentlich 22 dienen sollen, aber wegen meiner psychischen Verfassung hat das Militär dies nicht zugelassen.

Über posttraumatische Belastungsstörung

Ich wurde teilweise extrem aggressiv (…) trank, ehrlich gesagt, ziemlich viel und litt stark unter Depressionen, Angstzuständen, Verfolgungswahn und beinahe Schlafentzug, was alles noch schlimmer macht. Wenn man nicht schlafen kann, wird jedes einzelne Problem quasi ums Hundertfache verstärkt. Das Schlimmste war, dass man mich als Soldat mit einem Einstellungsproblem einstufte, denn so kommt es oft rüber, denke ich. Meine Frau sagte zu mir: „Du musst dir Hilfe holen, du drehst durch.“ Sie war da sehr direkt, denn sie wusste, was ich brauchte.

Ich habe lange nicht auf sie gehört, bis irgendwann ein Freund, mit dem ich im Geheimdienst gearbeitet hatte, zu mir sagte: „Du muss dir Hilfe suchen, Mann.“ Das ist seltsam – ich hörte auf eher meinen Freund, mit dem ich gedient hatte, als auf meine eigene Frau, weil ich dachte: „Was weiß sie schon davon?“ Das war’s dann: Ich fing mit einer Therapie an und das Militär sagte: „Tschüs, danke für Ihre Zeit.“

Die PTBS-Diagnose erhielt ich 2014. Es ist nicht heilbar und die Symptome sind immer in irgendeiner Form da, was auch auf mich zutrifft, würde ich sagen. Wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich nicht, dass ich deswegen meinen Job nicht machen und kein guter Soldat sein könnte. Ich würde vielleicht meine Qualitäten als Ehemann und als Mitglied der Gesellschaft etwas einbüßen, aber trotzdem meinen Job gut machen. Doch man wird plötzlich entbehrlich, weil man dies und das nicht mehr tun kann, und es heißt: „Wir müssen Ihnen die Waffen abnehmen, weil wir Ihr Verhalten nicht mehr einschätzen können.“

Ich war eine ganze Zeit lang in Therapie und nehme immer noch Medikamente. Zuerst schämte ich mich anderen gegenüber. Erst in letzter Zeit habe ich angefangen, mit Leuten darüber zu reden, wenn sie mich fragen. Ich spreche es nicht von mir aus an. (…) Früher sagte ich immer, dass ich der Armee den Rücken kehrte, weil ich genug hatte. Ich hätte nie gesagt, dass ich wegen PTBS ausgeschieden bin, weil es mir peinlich war und es natürlich – auch heute noch – mit einem großen Stigma behaftet ist. Aber schließlich muss man sein Leben weiterleben.

Über Anarchie

Es gibt Soldaten, die ein bisschen außer Kontrolle geraten, das kommt vor. Das liegt eben in der Natur der Sache. Man kann Menschen nicht all dem aussetzen und dann von ihnen erwarten, dass sie sich durchgehend professional verhalten. Manchen kann man es ansehen [wenn ein bestimmter Punkt erreicht ist]. Sie werden jeden Tag zunehmend ungepflegter, das Haar wird superlang, sie rasieren sich nicht, ihre Montur hängt an ihnen herunter, ihre Hemdsärmel sind zerrissen, sodass die Arme herausgucken, und sie werden undiszipliniert. Das sind gefährliche Anzeichen, die man direkt im Keim ersticken muss.

Ich denke, es wird immer einen Teil von uns geben, quasi das ‚Tier in uns‘, das kämpfen will. Man muss nur lernen, diesen Drang unter Kontrolle zu halten.

Über Armeewerbung

Die Armee gibt sich Mühe. Im Moment produzieren sie viele dieser „This is belonging“-Werbeclips und Anzeigen („Das ist Zusammengehörigkeit“), aber die sind nicht realitätsnah. Ich glaube, in einem der Clips sitzt ein Soldat im Dschungel, liest einen Brief und fängt an zu weinen. Meine Güte, in Wirklichkeit würden sie so jemanden in der Luft zerreißen.

 


 

Transkript von Abby Middleton